Es kommt noch dazu, meine Vorbilder damals waren natürlich die Fotografen der Agentur Magnum. Vielleicht sieht man das ein bisschen, ich wurde noch nicht aufgenommen. Aber das Bild hat auch ein wenig von diesem Magnum Groove. Etwas vom Wichtigsten in dieser Zeit war, dass man sich als Fotografin unsichtbar machen konnte. Ich kann fotografieren und die Menschen sehen mich nicht. Es galt fast schon als eine Schande, wenn jemand in die Kamera schaut. Das hat sich seither aber auch verändert, für mich sogar sehr.
Aber ich war damals stolz darauf wenn ich beobachten und fotografieren konnte, ohne dass die Menschen mich wahrnahmen. Das war etwas, das ich anstrebte.
Aber das setzt doch ein recht grosses Bewusstsein voraus dafür was ihre Rolle als Fotografin angeht. Sie waren 17 Jahre alt!
Ja gut, aber man macht als junger Mensch sehr viel auch unbewusst. Und erst später analysiert man das eigene Tun. Doch das unsichtbar machen war mir schon bewusst. Ich habe viel gelesen damals, mein Vorbild war Margaret Bourke-White und ich hatte ja auch einen Bruder, der selbst Fotograf war.
Sie haben eine Lehre gemacht als Fotografin. Eine kleine Anekdote. Wie war das damals?
Ich suchte eine Lehrstelle und bewarb mich bei allen mir bekannten Fotografen. Die Antwort war immer dieselbe, wir nehmen schon einen Lehrling, aber eben keine Frau. Das Argument war, dass ich die Kameras, Licht und ganze Ausrüstung nicht herumschleppen könne.
Es gab auch die Möglichkeit an eine Fachschule zu gehen, nach Zürich oder Vevey. Aber das war mir aus finanziellen Gründen nicht möglich, wir wohnten in Basel.
Mein Bruder war 15 Jahre älter als ich, er bot mir an die Lehre bei ihm machen zu können. Das passte mir ursprünglich nicht, es war mir ganz einfach zu nahe. Andererseits wollte ich unbedingt. Ich wollte diesen Beruf.
Weshalb unbedingt die Fotografie?
Da war ja schon mein Bruder. Ich habe gesehen, was er so macht. Das hat mir gefallen, mich hat es fasziniert. Ursprünglich hatte er auch Reportagen gemacht, später mehr Werbung. Und dann wollte ich Geschichten erzählen und in die Welt hinaus gehen. Mit welchem Beruf kann man das schon. Es war klar für mich, das ist meine Möglichkeit, ob mir das auch gelingen würde, wusste ich damals noch nicht.
Man wollte Sie von diesem Berufswunsch abhalten?
Nicht böswillig, nicht aus moralischer oder ideologischer Sicht wollte man mich davon abhalten. Meine Mutter war überzeugt, dass ich mir als Fotografin mein Leben nicht werde verdienen können. Das ist eine brotlose Kunst, so sagte man damals. Ich bin sehr arm aufgewachsen und ich wusste schon, so arm möchte ich nicht durchs Leben gehen. Ich wohnte zusammen mit meiner Mutter in einer 1-Zimmer Wohnung.
Ich machte also erst eine Handelsschule. Ich habe ein Jahr im Büro gearbeitet, war stolz darauf etwas Geld zu verdienen und meiner Mutter auch unter die Arme greifen zu können. Ich war damals etwa 17 Jahre alt. Aber ich habe allen gleich gesagt, dass ich nur kurz bleiben würde, denn mein eigentliches Ziel war Fotografin zu werden. Ich war im Büro so etwas wie Mädchen für Alles, das hat mir unglaublich gefallen, besser als Protokolle abzuschreiben.
Ihr Bruder war doch Beweis dafür, dass man mit der Fotografie trotz allem Geld verdienen konnte. Weshalb also die Zweifel?
Das stimmt, das habe ich mir nie überlegt. Aber er war ein Mann! Und ich war sehr zierlich. Meine Mutter konnte sich das ganz einfach nicht vorstellen.
Mein Eindruck ist, dass Sie ein Leben geführt haben in dem der Blick stets nach vorne geführt hat. Weiter zur nächsten Reise, zum nächsten Projekt oder Lebensabschnitt. Wie fühlt sich das nun an zurückzuschauen auf ein Lebenswerk? Dieses Wort ist in ihrem Fall doch angebracht, nicht?
Ich glaube schon. 60 Jahre sind wohl schon ein Lebenswerk. Das tönt sehr schön, was sie da sagen. Aber ich habe eigentlich immer versucht, das Leben so zu nehmen wie es kommt. Dennoch, eines Tages hatte ich damit begonnen, mein Archiv aufzuarbeiten. Das allein dauerte beinahe zwei Jahre. Peter Pfrunder, der Direktor der Fotostiftung Schweiz wusste davon und sagte mir: "Wenn du fertig bist damit, dann melde dich." Zuerst war ich natürlich unglaublich stolz darauf gefragt zu werden, aber dann kam auch die Angst, die Frage, was zeige ich da, ist meine Arbeit auch gut genug? Nach langem Warten kam dann aber die feste Zusage aus Winterthur. Luca, mein Sohn, der auch Fotograf ist, ist mir dann bei der Auswahl der Bilder zur Seite gestanden. Das Verarbeiten des Archivs wird so zu einer Analyse des eigenen Lebens. Auf fast allen Reisen war ich unterwegs zusammen mit Gerardo Zanetti, meinem verstorbenen Mann. Das ist zusätzlich schwierig, wenn diese andere Stimme nicht mehr da ist.
Ich habe mir im Lauf der gemeinsamen Arbeit mit Gerardo auch ein politisches Bewusstsein erarbeitet. Das war zumindest bei mir nicht von Beginn weg vorhanden, bei Gerardo schon.
Ich mag mich erinnern an ein Bild, wir waren in Südafrika. Ein gut aussehender Schwarzer, ein junger Mann stand hinter einem Stacheldraht, seine Hand am Draht wo er ihn halten konnte. Ich musste für einen Moment an ein Bild von Leni Riefenstahl denken und konnte mich nicht überwinden abzudrücken, ich traute mich nicht, mit diesem Bild im Kopf.